Aktuelle Technik, 11.13

Inviato da:

Aktuelle Technik logo

Hält länger, braucht weniger – Warum!

Ein Laptop, der zehn Jahre läuft, gibt es den? ­François Marthaler, ehemaliger Staatsrat des ­Kantons Waadt und Geschäftsführer der why! open computing SA, tritt den Beweis an. Dabei baut er auf einfach zu reparierende Hardware, das Betriebssystem GNU/Linux und hoch performante, kostenlose Open Source Software.

Interview: Heike Henzmann, Bilder: why! open computing SA

Herr Marthaler, aus der Politik in die Wirtschaft: Sie haben ein eigenes Unternehmen gegründet, das nachhaltige Computer produziert. Was waren Ihre Beweggründe für diesen Schritt?
Während meiner achteinhalbjährigen Amtszeit im Regierungsrat habe ich mich für den Einsatz offener Standards und Open Source Software eingesetzt. Dies ist das einzige Geschäftsmodell, das die Behörden, die ja alle mehr oder weniger die gleichen Bedürfnisse haben, davor bewahrt, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Nachdem ich am 1. Juli 2012 «pensioniert» worden war, wollte ich meine Grundsätze umsetzen, indem ich das GNU/Linux auf einem alten Laptop installierte, den der Kanton Waadt sonst entsorgt hätte. Dies ist mir auch ohne Informatikkenntnisse gelungen, aber die Installation des guten WLAN-Treibers hat mich enorm Zeit gekostet. Über diese Zeit verfügt der durchschnittliche Nutzer in der Regel nicht. Damit sich Linux am Arbeitsplatz durchsetzt, muss dem Nutzer eine Plug-and-play-Maschine angeboten werden, die mit einer von Computer-Spezialisten angepassten Konfiguration zur alten Hardware passt. Das gibt es fast überall auf der Welt, ausser in der Schweiz. Hier ist es gar unmöglich, einen Laptop zu kaufen, ohne eine «Windows-Gebühr» zu bezahlen. Es gab hier also tatsächlich eine Marktlücke, in die ich mit den nachhaltigen Computern gesprungen bin.

Was genau verstehen Sie unter nachhaltiger Entwicklung und worin liegt der Nutzen von Open Source Software für die Umwelt?

Die Produktion von Computern verbraucht sehr viel graue Energie und bedrohte Rohstoffe wie das Indium oder das Neodym. In einem erschreckenden Turnus von drei bis fünf Jahren sind die Geräte bereits wieder veraltet und werden ersetzt. Dies ist nicht mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar, die vorsieht, den folgenden Generationen die nötigen Ressourcen für die Deckung ihrer eigenen Bedürfnisse zu hinterlassen. Zu einem grossen Teil ist diese stetige Erneuerung das Ergebnis der schnellen Software-Entwicklung und deren Hersteller, die den Nutzer dazu zwingen, die Software und Hardware ständig zu erneuern. Im Gegensatz dazu zielt die Entwicklung der offenen und Open Source Software darauf ab, die Leistung zu verbessern, ohne die Geräte zu ersetzen – und die Nutzer haben immer noch die Wahl, ob sie die neueste Version haben wollen oder nicht. Wenn sie sich entscheiden, einen Computer doppelt so lang zu benutzen, können die Open-Source-Programme massiv dazu beitragen, die negativen Auswirkungen der Informatik- und Kommunikationstechnologie auf die Umwelt zu reduzieren.

Green IT – Energieeffizienz in der Informationstechnologie. Welche Bereiche umfasst dieser Begriff?
Zunächst wird bei diesem Begriff jeder an die Energieoptimierung der grossen Rechenzentren denken. Ich konnte mich selbst von den riesigen Einsparpotenzialen überzeugen (40 Prozent), als der Kanton Waadt sein Rechenzentrum von Bedag in Bern in das neue Green Data Center in Renens verlegte.
Aber auch Einzelpersonen können einen Beitrag leisten, zum Beispiel mit dem Verzicht auf eine 24-Stunden-Routerbeleuchtung an 365 Tagen oder mit dem Einsatz von Energy-Star-Geräten. Doch auch die Art der Software kann erheblich zur Energieeinsparung beitragen; viele Studien zeigen, dass Geräte mit OSS weniger Strom fressen.

Worauf beruht die Nachhaltigkeit Ihrer Laptops?
Der Laptop Why! kann im Gegensatz zu anderen Laptops mit einem einfachen Schraubenzieher vollständig auseinandergenommen werden. Es ist ein Novum, dass eine Computermarke ihren Kunden eine Anleitung zur Verfügung stellt – eine Anleitung, die es ihnen ermöglicht, ihre Rechner im Falle einer Panne oder eines Upgrades selbst zu reparieren oder reparieren zu lassen sowie erschwingliche Ersatzteile zu kaufen. Für den Fall, dass es irgendwann keine neuen Ersatzteile mehr gibt, hat Why! eine Tauschbörse lanciert, die es ermöglichen soll, selbst in zehn Jahren noch Occasionsteile zu finden.

Häufig sind die energieeffizienten und nachhaltigen Produkte teurer als vergleichbare Artikel. Der Laptop von Why! bewegt sich hingegen trotz (fast) Energie-Effizienz-Label und einer Nachhaltigkeit von zehn Jahren im unteren Preissegment. Wie ist das möglich?

Um sich auf dem Markt durchsetzen zu können, hat Why! versucht, das beste Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten. Ziel ist, sich einen Teil des bestehenden Marktes anzueignen. Dieser muss hinreichend gross sein, um effizient und nachhaltig handelnde Produkthersteller zu gewinnen, die dennoch vorbildliche ökologische und soziale Produktionsbedingungen bieten. Wenn sich der Erfolg einstellt, werden wir die Angebotspalette schnell um hochwertigere Produkte erweitern, die noch leistungsstärker, dabei aber genauso nachhaltig sind.

Eignet sich Open Source Software auch für den industriellen Einsatz?
In einem Unternehmen läuft die Mehrheit der Server und der Business-Lösungen mit einer Open Source Software. Zwei Drittel der Webserver laufen zum Beispiel unter Linux! Doch am Arbeitsplatz ist dies nicht der Fall. In Firmen und öffentlichen Verwaltungen gibt es immer noch Programme, manchmal alt, aber nichtsdestotrotz noch am Leben, die keine Web-Anwendungen sind und sich nicht auf einem Linux-Client ausführen lassen. Doch dies ändert sich gerade. Die Stadt München beispielsweise hat sich nach zehnjährigen Bemühungen von den Windows-Applikationen befreit, und die Stadt Lausanne hat soeben fünf Laptops Why! für ihr Pilotprojekt «Full Open» bestellt. Zurzeit stellt die Open Source Software nur für die Start-ups eine wirklich glaubwürdige Alternative dar. So der Fall bei Why! open computing SA: Wir wenden nur Open-Source-Lösungen an: Ubuntu an den Arbeitsplätzen, Word-Press für die Website, Prestashop für den E-Commerce im Online-Shop, Linux Debian für den internen Server, OpenERP für das Management und so weiter.

Das Label Energy Star: Sie streben eine Zertifizierung Ihrer Computer an. Wie geht diese Zertifizierung vor sich? Welche Kriterien müssen Sie erfüllen und welche Akzeptanz findet dieses Zertifikat auf dem Markt bei Konsumenten und in der Industrie?
Die Energy-Star-Norm kann von der Website der United States Environmental Protection Agency (EPA) heruntergeladen werden. Sie beziffert den gemessenen Energieverbrauch während des Betriebs, im Ruhezustand und bei ausgeschaltetem Gerät. Die Voraussetzungen sind dabei für einen Server nicht die gleichen wie für einen Laptop, einen Desktop oder einen Bildschirm. Wir haben die Messwerte einem Labor der Hochschule für Technik und Wissenschaft Waadt (HEIG-VD) in Yverdon-les-Bains anvertraut. Unsere Geräte entsprechen dem Energy-Star-Label und der Analysebericht wurde gerade an die Swico weitergeleitet, die vom Bund beauftragt ist, das Energy-Star-Programm für die Schweiz zu leiten. Die Computer Why! könnten also demnächst auf www.energystar.ch in der Liste der gelabelten Geräte erscheinen, und wir hätten das Recht, die Marke Energy Star auf unsere Produkte zu kleben. In unserem Online-Shop werden wir die Kunden dann schon vor dem Kauf für diesen Aspekt sensibilisieren.

Welche Tendenzen im Bereich Green IT zeichnen sich jetzt schon für die nähere Zukunft ab?
Die Initiativen der Green IT nehmen rasant zu, und die Hersteller verbessern laufend die Energieeffizienz der neuen Prozessoren. Die neuen Prozessoren von Intel Haswell erreichen zum Beispiel gegenüber jenen, die auf einer Sandy-Bridge-Architektur aufbauen, eine Energieeinsparung von 25 Prozent. Und die nächste Generation Broadwell verspricht eine zusätzliche Energieeinsparung von 28 Prozent; und so geht es weiter. Leider steigt aber der globale Energieverbrauch stetig, nicht zuletzt wegen der Informatik und der Allgegenwart dieser Technologien in Geräten des täglichen Lebens. Es ist noch nicht lange her, da konnte man am Festnetzanschluss einen Anruf tätigen, ohne dass das Gerät mit dem Stromnetz verbunden war – ohne Anzeige und ohne Trafo, die fortwährend Energie verbrauchen. Das Gleiche gilt für all jene kabellosen Geräte, wie eine WiFi-Maus, die ständig Energie verbrauchen, um zu kommunizieren, wohingegen ein Gerät am USB-Kabel gar nichts verbrauchen würde. Es gibt schon offene Fragen über die Zukunft, besonders wenn man beobachtet, dass für WiFi-Router keine einzige Energy-Star-Norm existiert, obwohl diese Geräte allein in der Schweiz so viel Strom verbrauchen wie 2000 Haushalte. Und was soll man davon halten, dass die Website www.topten.ch nicht einmal eine Informatikrubrik aufführt, sondern nur Bildschirme und Drucker bewertet? Leider scheinen sich die Verdienste von Green IT durch neue Verschwendungen aufzuwiegen. Eine Umkehr dieser Tendenz ist nur möglich, wenn wir unser Verhalten und unsere Auswahl beim Kauf ändern.

Was erwartet den Benutzer bei der Umstellung auf Open Source Software?
Die meisten Nutzer haben noch nie einen Computer verwendet, der mit GNU/Linux läuft und assoziieren Open Source Software mit schlechter Gratissoftware. Dies ist nicht so! Ich bin zuversichtlich, dass die überwältigende Mehrheit derer, die den Sprung wagen, nie wieder zurückkehrt. Umso mehr, als sie mit Ubuntu und seiner Programmbibliothek auf Hunderte von Programmen zugreifen können, die sich stetig verbessern und die mit einem einzigen Klick gratis installiert werden können. Doch der Hauptvorteil liegt darin, dass sie nicht mehr alle drei bis fünf Jahre ein neues System installieren müssen, sich nicht wieder an neue und teure Programme gewöhnen oder mit ihren Daten, Adressbüchern und Signaturen umziehen müssen. Auch braucht nach einem Update kein Drucker ausgetauscht zu werden, der bis dahin gut funktioniert hat. Mit Ubuntu kann der Übergang von einer Version zur anderen automatisch alle fünf Jahre durchgeführt werden, sofern man bei den Versionen LTS (Long Term Support) bleibt.

Wie ist der Verkauf Ihrer nachhaltigen Laptops angelaufen? Ist es möglich, ein Gerät vor der Kaufentscheidung zu ­testen?
Bis zum 23. Oktober hat die Firma Why! mehr als hundert Laptops ausgeliefert. Dies ist weniger als erwartet, aber die begeisterten Aussagen der ersten Kunden könnten andere überzeugen … In Anbetracht dessen, dass die meisten Nutzer noch nie einen Computer gesehen haben, der mit GNU/Linux läuft, haben wir sehr viel in den Aufbau eines Spezialistennetzes investiert. Diese Computerfachleute können Ratschläge erteilen und bieten Schulung, Service und Support an. Bis heute sind bereits 130 Spezialisten in der ganzen Schweiz tätig; die meisten von ihnen sind Wiederverkäufer; dadurch lassen sich die Why!-Computer über diese Händler ausprobieren.

Kennen Sie das Greenpeace-Ranking für nachhaltige Laptops? Wie schätzen Sie dessen Aussagekraft ein und wie würde Why! bei einer Bewertung abschneiden?
Natürlich kennen wir dieses Ranking. Wir sind bereits an Wipro herangetreten, um über eine künftige Zusammenarbeit zu diskutieren. Wipro ist übrigens der indische Hersteller, der die Ranking-Liste von Greenpeace anführt. Abgesehen davon stellt die Mehrheit der bekannten Marken nichts mehr selbst her, sondern lässt ihre Produkte durch eine Handvoll asiatischer Industrieunternehmen erzeugen. So werden auch die Apple-Flagschiffprodukte durch Foxconn in China hergestellt (2012 betrug die Mitarbeiterzahl von Foxconn über eine Million). Im Jahr 2011 stammten 94 Prozent der Laptops aller Marken aus den Fabriken des taiwanesischen Herstellers ODM (Original Design Manufacturer); dazu gehört auch unser jetziger Lieferant Clevo. Es ist nicht schwer zu verstehen: Um einen signifikanten Einfluss auf die ökologischen und sozialen Bedingungen der Produktion dieser Industriegiganten zu gewinnen, müssen wir zuerst über einen beachtlichen Marktanteil verfügen. Ich wünsche natürlich, dass Why! dies eines Tages erreichen wird.
(Das Interview wurde per E-Mail geführt.)

why! open computing SA
www.whyopencomputing.ch

Lire l’éditorial (jpg, 200 Ko)

0

Aggiungi un commento